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Wie die Frau zur Hexe wurde: WITCHES (Mubi)

Komplizierte Frauen waren schon immer ein Problem. Komplizierte Frauen, die ihre eigenen Kinder nicht betreuen können, wie es das Gesetz der Natur (oder des Patriarchats) vorsehen, noch um ein deutliches mehr. Und doch lesen die Frauen in der Doku WITCHES Geständnisse, von als Hexen verurteilten Frauen, und sagen sofort „Hey, die klingt ja wie ich“. 

Die emotionale Doku von Elizabeth Sankey gibt es exklusiv ab dem 22. November auf MUBI zu sehen!

[Triggerwarnung: in der Dokumentation WITCHES geht es um postpartale Depressionen, selbstverletzendes Verhalten, Suizidgedanken und psychiatrische Einrichtungen. Sollten euch diese Themen belasten oder schwerfallen, dann bitte passt auf euch auf und schaltet unter Umständen lieber ab!]

Darum geht es in WITCHES

Was haben postpartaler Depressionen und die Geschichte und Darstellung von Hexen in der westlichen Gesellschaft gemeinsam? Das ergründet WITCHES.

Anhand ihrer Erlebnisse in der Psychiatrie nach der Geburt ihres Sohnes verwebt Elizabeth Sankey persönliche Erzählungen mit historischen und filmischen Archivaufnahmen. Der Film präsentiert Interviews mit medizinischen Fachleuten, Historiker:innen und anderen Betroffenen und bietet so eine facettenreiche Perspektive darauf, wie Frauen mit psychischen Erkrankungen im Laufe der Zeit stigmatisiert und missverstanden wurden. Gleichzeitig gründet Sankey ihren eigenen „Hexenzirkel“ aus Frauen, um ihre Geschichten selbst zu erzählen.

I was a Fire

WITCHES beginnt wie ein Video-Essay. Wie diese Videos auf YouTube, in denen eine Person ihre Gedanken zu einem gesellschaftlichen Thema offenbart und sie meist mit einem Sammelsurium aus Medien unterlegt. Passenderweise sind es hier verschiedenste Film- und Serienszenen, die alle eines gemein haben: Hexen. Gute Hexen, böse Hexen, schöne Hexen, tote Hexen.

Eine Stelle aus dem Essay blieb mir vor allem im Kopf:

I was supposed to be calm, soft, pretty and pink.
But I didn’t feel like that.
I felt out of control. I was a storm, wild and unmoored.
I was a fire.

WITCHES beginnt mit einer Aufzählung von Klischees. Wie sehen wir Hexen. Wie sehen wir Mütter. Doch Elizabeth Sankey passte irgendwie nicht ins Idealbild der Mutter. Nachdem sie sich mit diesem Gefühl unfassbar allein gefühlt hatte, fand sie ein Support-Netzwerk aus anderen unperfekten Müttern. Sie fand ihren ganz persönlichen Hexenzirkel. Frauen, die nicht ins Bild passten.

Der absolute Needledrop-Moment der Doku geschieht, als die interviewten Frauen von ihrer postnatalen Depression berichten und sich danach Geständnisse hingerichteter Hexen durchlesen. Es sind fast die gleichen Worte, die sie gerade noch selbst verwendet haben. 

Wir sind alle Hexen

Dieser Moment zeigt: wenn ihr nicht in die Norm passt, dann findet die Gesellschaft (*hust* das Patriarchat */hust‘) schon Wege sich eurer zu entsorgen. Ob Hexenverbrennungen, Handmaid’s Tale oder Redeverbot im Afghanistan. Diese Erkenntnis, die keine neue ist, macht WITCHES gleichermaßen universell, zeitlos, als auch aktueller denn je. Zwar denken wir, wir seien einen Schritt weiter, doch zeigt uns das Weltgeschehen immer wieder, dass es auch fünf zurückgeht.

Und so versucht WITCHES auch mit der negativen Konnotation rund um Hexen ein für alle Mal aufzuräumen. Statt uns von Märchen Angst machen zu lassen, sollten wir alle Zirkel formen und füreinander einstehen. Wir sind alle Hexen, in den Augen derer, denen wir unbequem erscheinen.

Eine wichtige Doku, aber sehr harter Tobak

Mal Tacheles: ich hab geflennt wie ein Schlosshund. Viele der hier thematisierten Aspekte rund ums Muttersein und -werden kamen mir bekannt vor. Vor allem aber kam mir bekannt vor, wie die Gesellschaft versucht, Frauen zu zerstreuen und mit Märchen gegeneinander aufzubringen. Elizabeth Sankey fasst diese Gefühle wunderbar einfühlsam zusammen. Ihre autobiografische Erzählung ist nicht nur für sie selbst heilsam, sie möchte damit auch anderen helfen.

Auch die anderen Protagonist:innen verarbeiten mit ihrer Teilnahme etwas. Man sieht, wie ihnen die Worte schwerfallen. Serienfans werden sogar eine Person wiedererkennen: Sophia Di Martino, bekannt als Sylvie aus Loki gehört zu jenen, die hier ihr Schweigen brechen.

Abgesehen von der ausdrücklichen Triggerwarnung, kann ich WITCHES nur ausdrücklich empfehlen. Im Bedarfsfall sollte der Film aber nicht allein gesehen werden! 

Unfassbar wichtig und richtig. 10 von 10 Punkten.

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