Staffel 2 von Jessica Jones startete am 8. März 2018 auf Netflix und widmet sich einer Thematik, die in Staffel 1 eher übersprungen oder nur ansatzweise angedeutet wurde: Jessicas Origin Story. Der nachfolgende Artikel enthält keine Spoiler zur Handlung von Staffel 2.
Jeder gute Superheld braucht eine Origin Story – aber Jessica Jones ist weder gut noch ein Superheld. Deswegen war eben jenes Überspringen eigentlich von Vorteil für Staffel 1. Diese konzentrierte sich stattdessen auf zynischen Detective Noir, einen charismatischen Bösewicht und die psychologischen Abgründe, die totaler Kontrollverlust mit sich bringt. Doch jetzt will Jessica (Krysten Ritter) – bzw. in erster Linie ihre Ziehschwester und beste Freundin Trish (Rachael Taylor) – genauer ergründen, woher ihre Kräfte kommen und warum sie sich trotz Teenie-Alters nicht an die Geschehnisse erinnern kann.
Niemand mit etwas Genrekenntnis von Superhelden-Medien wird dabei erwarten, noch auf allzu große Innovationen zu treffen. Superkräfte können letzten Endes nur so und so viele Ursprünge haben. Im vorliegenden Fall haben wir Kräfte der Marke „medizinische Experimente“. In weiteren Nebenrollen gibt es die Familie, die bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam – sowie das latente Alkoholproblem der unfreiwilligen und dauergenervten Heldin.
Die Psyche eines „Supers“
Aber um solche Details und Genre-Klischees geht es bei Jessica Jones gar nicht. Die Origin Story ist hier eher das notwendige Übel, um entstandene Fragen abzuhaken, die Charaktere weiter zu entwickeln und vor allem den Hintergrund für das zu liefern, was die Serie wohl am meisten auszeichnet: eine Reise in die Psyche eines „Supers“. Was macht es eigentlich mit einem Menschen, so irgendwie anders, irgendwie vermeintlich „besser“ zu sein? Unter welchem Erfolgsdruck stehen solche Menschen auf einmal und welche Erwartungen werden an sie gestellt, die sie teils gar nicht erfüllen wollen.
Im krassen Kontrast zu Jessica steht dabei Trish, welche bereits als normaler Mensch unter enormem Erfolgsdruck aufwuchs und ihrer Mutter nie zu genügen schien. Als Teenie-Idol stand sie stets in der Öffentlichkeit und wurde von allen geliebt aber war trotzdem nie glücklich. Selbstverständlich also, fühlt sie sich von Jessicas Welt angezogen. Sie sehnt sich nach Superkräften, um hervorzustechen und endlich all den Erwartungen von außen und innen gerecht zu werden. Sie kennt die Aufmerksamkeit und Oberflächlichkeit und möchte daraus ausbrechen und etwas bewirken.
Dabei steht sie nicht nur im Schatten von Jessica sondern auch von ihrem Freund Griffin (Hal Ozsan), welcher als Journalist an brandaktuellen Themen recherchiert. Dieser Geltungsdrang und die Vorgeschichte mit Drogenkonsum führen unweigerlich dazu, dass Trish erneut zu den kraftsteigernden Drogen von Will Simpson (Will Traval) greift und inzwischen auch drastischere Wege in Betracht zieht.
Ist es in dieser Welt, in der Superkräfte existieren, also letzten Endes egal ob man diese nun hat oder nicht? Jessica will die Kräfte und daran gebundene Verantwortung nicht, Trish sehnt sich danach. Neben diesen beiden steht auch Jeri Hogarth (Carrie-Anne Moss), Jessicas Anwältin, im Handlungsmittelpunkt. Sie hat ihr Leben damit verbracht Kontrolle und Macht anzuhäufen und sieht sich nun im Angesicht von Krankheit dennoch machtlos.
Jessica Jones als gesellschaftlicher Kommentar
Die drei zentralen Personen haben also aller unterschiedlichen Formen von Macht inne und gleichwohl ist keine von ihnen zufrieden. Man könnte glatt meinen Marvel und Netflix versuchen uns da einen allgemeinen gesellschaftlichen Kommentar unterzujubeln. Schön illustriert wird das durch folgende Aussage eines weiteren Supers auf den Jessica zu Beginn der Staffel trifft, Robert Coleman, aka The Whizzer (Jay Klaitz):
With great power comes great mental illness.
Superkräfte bringen Verantwortung, Erfolgsdruck, Versagensängste. Nicht selten führen sie, allein schon durch die relative Isolierung, zu psychischen Problemen. Und dies gilt nicht nur für die die sie innehaben.
Fazit: Jessica Jones Staffel 2 hat einen weniger spannenden Plot als die Auftaktstaffel doch die Atmosphäre und Charakterentwicklung macht das in meinen Augen wett. Plot ist nicht alles!
Dafür gibt’s 9 von 10 Punkten