Am 19.10.2020 startet auf SKY die kontroverse und international hoch gelobte BBC-HBO-Koproduktion I MAY DESTROY YOU. Von und mit der BAFTA-Preisträgerin Michaela Coel. Die zwölf Episoden sind ab 19. Oktober als komplette Staffel auf Sky Ticket und über Sky Q auf Abruf verfügbar. Am 24. Oktober folgt eine Marathonprogrammierung ab 20.15 Uhr auf Sky Atlantic. Die Serie ist wahlweise im Original oder auf Deutsch zu sehen.
Zum Inhalt von I MAY DESTROY YOU
Die selbstbewusste, hochbegabte Londonerin Arabella (Michaela Coel) avancierte mit ihrem Debüt „Confessions of a Fed-Up Millennial“, einem Tatsachenroman über sexuelle Selbstbestimmung der Frau, zur „Stimme ihrer Generation“. Doch nachdem ihre Fernbeziehung mit dem Italiener Biago (Marouane Zotti) zerbricht, ihr das Schreiben des zweiten Romans schwerfällt und sie deshalb ihre Deadlines nicht einhalten kann, zieht sie zur Ablenkung lieber mit ihren Freunden durch die Clubs und Kneipen, konsumiert Alkohol und Drogen. Bis sie eines Morgens nach einer Partynacht mit Verletzungen aufwacht und sich nicht erinnern kann, was passiert ist.
Erst nach und nach kommen Erinnerungsfetzen zurück und langsam begreift sie, was geschehen ist. Arabella ist nun gezwungen, jeden Aspekt ihres Lebens neu zu bewerten: ihre Karriere, ihre Freunde und sogar ihre Familie. Während Arabella versucht, ihr Trauma zu verarbeiten, beginnt eine oft schmerzhafte, manchmal urkomische Reise der radikalen Selbstentdeckung, die sie an einige überraschende Orte führt – und zu kontroversen Schlussfolgerungen.
Meine Review
Die Tagline von Sky lautet: „Freimütig und provokativ wirft „I MAY DESTROY YOU“ einen unerschrockenen Blick auf die moderne Dating-Landschaft und darauf, wo im Zeitalter der sofortigen Befriedigung der Unterschied zwischen sexueller Befreiung und Ausbeutung liegt.“ Da dachte ich zunächst „häh? Was reden die von Dating? Da geht es um Vergewaltigung„. Doch beim Schauen der Serie wird zunehmend klar – der Grad ist manchmal schmal.
Ich glaube, I MAY DESTROY YOU ist eine Serie, die für ältere Menschen, oder Menschen die einfach hinreichend Abstand zur Generation Millenial haben, schwer zu greifen ist. Denn um da wirklich mitzugehen braucht es viel Empathie. Nicht nur für die Protagonisten. Wenn auch in erster Linie für die.
Vielen wird es vielleicht nahe liegen einige der Opfer in dieser Serie zu verurteilen. Manch einer begab sich ja praktisch willentlich in diese Situation, wo man auf Grund von Stimmungsaufhellern plötzlich nicht mehr Herr der Dinge war. Oder die Situation in der man die Wohnung seines Dates betrat, man wusste doch worauf das hinaus lief.
Und genau da brauchen wir sie. Diese Empathie. Klar war das früher alles anders und vielleicht besser aber mit ner gehörigen Prise mehr Stock im Arsch. Aber wer die heutige Dating Szene kennt, weiß, dass Oberflächlichkeit Trumpf ist. Das die wenigstens den Partner fürs Leben suchen. Sex ist Gott. Schnell, einfach, zielführend. Sex ist nur ein Pflaster, aber das Leben ist einfach zu sehr im flux um Zeit für anderes zu haben.
Anthologie der Vergewaltigung
I MAY DESTROY behandelt nicht EINE Vergewaltigung. Zwar ist diese eine der Aufhänger und Arabella versucht, diese EINE zu verkraften, bzw. zunächst erst zu verstehen. Doch über die 12 Folgen der Serie breitet sich ein schauriges Bild der Vergewaltigungs-Szene aus. Da gibt es den charmanten Typen, der beim entspannten Date-Rape einfach spontan das Kondom abzieht und dann mit hanebüchenen Ausreden daherkommt. Oder den Typen, der dein Nein beim Date nicht hinnimmt, du bist ja mitgekommen. Du willst es doch auch.
Vergewaltigung kennt viele Formen. Und diese hinterlassen bei den Opfern viele Narben. Arabella hat den „Vorteil“, dass sie Autorin ist und so ein Medium zur Verarbeitung direkt zu Händen hat. Dieses Glück hat nicht jeder. Auch, das Glück überhaupt zunächst ernst genommen zu werden. So empfand ich eine der schlimmsten Szenen der Serie die Folgende: (maximal spoilerfrei) ein schwuler Mann wird von seinem Date vergewaltigt. Er geht zur Polizei. Der männliche Polizist ist irgendwo zwischen peinlicher Berührung und Überforderung. Es fehlt vor allem dieses Verständnis der schwulen Datingszene. Oder diese Empathie. Auch wenn du anfangs noch die Wohnung freiwillig betreten hast, heißt das nicht, dass du allem, was darin passiert zugestimmt hast.
Diese Erfahrung hebt sich insbesondere innerhalb der Serie von jener von Arabella ab. Da der erfreuliche Kontrast: trotz massiver Erinnerungslücken und kaum Beweisen, wird sie von den weiblichen Polizisten ernst genommen und eine Ermittlung wird gestartet.
Erwartungshaltung: 0, I MAY DESTROY YOU: 1
Ich muss zugeben, vielleicht auf Grund des Titels I MAY DESTROY YOU, war meine Erwartungshaltung an diese Serie eine andere. Entgegen dieser, handelt es sich nicht um die klischeemäßigen Racheszenarien. Vielmehr, denke ich, der Titel bezieht sich auch Arabellas Psyche. Das einzige was hier beinahe zu Grunde geht ist sie. Gerade auch auf Grund ihrer zeitgemäßen Prägung scheint Arabella ein Mensch der unsagbar gerne und viel verdrängt. In späteren Folgen wartet die Serie direkt mit der Metapher der unterm Bett verstauten Probleme auf.
Und generell kann I MAY DESTROY YOU so gar nicht mit Klischees. Es ist beinahe erfrischend mal fucking reale Menschen zu sehen, die nicht in jeder Szene perfekt poliert aussehen. Auch liefert das Ende der Serie nicht diese Auflösung, diese Absolution, die man so normal erwartet. Zwar finden wir heraus, wer die Tat im Kern der Geschichte begangen hat, doch bricht diese Erkenntnis mit unsere TV-Erwartungen par excellence.
Denn in der Realität wartet nicht immer eine Lösung. Beziehungsweise liegt die Lösung darin, was wir daraus machen. Die Lösung kann nicht in Rache liegen, sie muss auch nicht Gefängnis und „Happy End“ lauten. Wichtig ist, wie man selbst damit fertig wird. Und da ist das wichtigste stets das persönliche Umfeld. Arabella hat zum Glück mit Terry und Kwame zwei fantastische Freunde.
Solltet ihr Opfer von Vergewaltigung sein und euch eurem Umfeld nicht anvertrauen wollen, dann sucht euch BITTE Hilfe. Diese gibt es, beispielsweise, beim Weißen Ring e.V. oder dem Hilfetelefon des Bundesamtes für zivilgesellschaftliche Aufgaben und Öffentlichkeitsarbeit!
Fazit
I MAY DESTROY YOU bricht mit vielen Konventionen und Erwartungshaltungen. Stellenweise, gebe ich auch offen zu, war ich schlichtweg verwirrt. Arabella ist ein so genannter „unreliable narrator“. Sie ist teils so verwirrt, dass das was wir sehen einfach nicht ganz der Realität entspricht. Auch hat sie mit Sicherheit nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen und verhält sich streckenweise respektlos und kindisch gegenüber ihren Freunden. Doch da wären wir wieder bei Empathie. Man muss es nicht verstehen – denn man kann es gar nicht verstehen, solange man nicht in ihren Fußstapfen steht!
Ich kann I MAY DESTROY YOU nur 10 von 10 Punkten geben, denn es hat mich genau so gefordert, wie mich eine gute Serie fordern sollte – und dennoch unterhalten. Sollte sich auf jeden Fall jeder mal anschauen. Mit 12 Episoden á 30 Minuten ist das auch wirklich nicht zu viel verlangt!