Von Hanns Christian Schmidt
Wenn man sich eine Karte für „Die Mumie“ kauft – der Versuch von Universal Studios, sein klassisches Monsterfranchise wiederzubeleben – dann hat man gute Chancen, den Saal einigermaßen fassungslos wieder zu verlassen. „Der Begriff Monster leitet sich von lateinisch monstrum (‚Mahnzeichen‘) sowie monstrare (‚zeigen‘) und monere (‚mahnen, warnen‘) ab“, wie Wikipedia weiß, „und bezeichnet meist ein ungestaltes Wesen.“ Hätte man im Latein-Unterricht besser aufgepasst und rechtzeitig eins und eins zusammengezählt – man hätte sich Zeit und Geld für den Kinobesuch sparen können.
Eine überzeugende fantastische Erzählwelt entwirft ihre eigenen Regeln, lässt uns an ihnen teilhaben und führt uns vor Augen, welche raffinierten Spielzüge darin möglich sind. Sie steht und fällt aber nicht nur mit einer nachvollziehbaren Anleitung und der plausiblen Ausführung der Züge, sondern auch mit den Spielfiguren und dem Bewusstsein für ihre Fähigkeiten und Einschränkungen. Wenn wir nachvollziehen können, warum eine Figur etwas tut und was dabei für sie auf dem Spiel steht, wird sie für uns interessant – und genau hier verfängt sich „Die Mumie“ in einigen verrotteten Mullbinden und gerät ins Straucheln.
Tom Cruises Nick Morton ist ein Aufklärungsoffizier der US-Streitkräfte und offenbar daran interessiert, sich bei Militäreinsätzen im Nahen Osten an Antiquitäten zu bereichern. Er ist weder sonderlich clever noch sonderlich gerissen; er ist weder ein charismatischer Antiheld noch wirklich heroisch. Seine Persönlichkeit ist tatsächlich derartig nichtssagend, dass man sich während der Laufzeit des Films immer wieder dabei ertappt, sich den mit sympathischer Unbeholfenheit spielenden Brandon Fraser aus der letzten „Mumien“-Filmreihe zurückzuwünschen. Von sämtlichen charakterlichen Eigenschaften und Motivationen befreit, stolpert Nick mit seinem Komplizen Chris (Jake Johnson, dem es partout nicht gelingen will, seinen in der Sitcom „New Girl“ perfektionierten naiv-trotteligen Charme in auch nur einer Sekunde auszuspielen) über das Grab einer verfluchten ägyptischen Prinzessin. Dies ruft wiederum die Wissenschaftlerin Jenny (Annabelle Wallis) auf den Plan, der die ganze Angelegenheit äußerst merkwürdig vorkommt. Nick öffnet das Grab und legt den Sarkophag des einbalsamierten Leichnams frei. Beim Rückflug sorgen übernatürliche Ereignisse für einen Flugzeugabsturz, den Nick aus unerfindlichen Gründen vollkommen unbeschadet überlebt. Er wird kurz darauf von Dr. Henry Jekyll (Russel Crowe) darüber ins Bild gesetzt, dass von nun an ein Fluch auf ihm lastet. Oder vielleicht ein Segen? Merkwürdige Visionen suchen ihn heim und führen ihn immer wieder wie von Geisterhand auf die richtige Fährte. Dabei wirkt alles auf stumpfe Art beliebig; Nick ist ein Spielball von Mächten, die er nicht durchschauen kann – und auch der Zuschauer hat massive Schwierigkeiten, sich ein konsistentes Bild der konfus entworfenen Mythologie zu machen.
Inhaltliche Schwächen und vorhersehbare Konflikte können in einem Film zu verschmerzen sein, wenn andere Faktoren stimmen. Denn wenn sich Universal dazu anschickt, die verstaubten Knochen des eigenen Leinwand-Vermächtnisses auszugraben, etwas neues Fleisch darauf zu drapieren und das klapprige und knarzende Gestell mit der tonnenschweren Last eines von den gierigen Studiobossen forcierten Cinematic Universe zu beschweren, dann muss dieses Gewicht auch von Irgendetwas getragen werden. Hier wirkt der Instinkt der Produzenten, für ihre erste Iteration dieses neuen „Dark Universe“ Tom Cruise anzuheuern, wie die Investition in eine sichere Bank – schließlich ist es schwer vorstellbar, wie sich das Marvel Cinematic Universe mit seinen oft formelhaften Storylines ohne das Charisma eines Robert Downey Jr. entwickelt hätte. Genau dieser Beitrag vermag aber weder von der geballten Starpower des Hauptdarstellers noch von seinen Kolleginnen und Kollegen geleistet zu werden, die ohne narrative Zielvorgabe immer wieder beherzt ins Leere spielen. Jenny ist die wahrscheinlich wichtigste Figur im Film, weil sie als Wissenschaftlerin die intellektuelle Säule bildet und sowohl die Geschichte der Mumie als auch die Tragweite des Fluchs richtig einzuordnen weiß. Dennoch würde die Handlung vermutlich nichts an Substanz einbüßen, wenn man die Figur einfach wegließe. Sie stößt bei Nick immer wieder auf taube Ohren – und warum sollte er auch zuhören, wenn sich sein Schicksal doch geradezu von selbst entscheidet. Auch Russel Crowes Henry Jekyll, der Chef einer Spezialeinheit, die sich in einem alten Templergrab auf übernatürliche Fälle spezialisiert hat und der Welt von „Göttern und Monstern“ gewissermaßen das Fundament gibt, wirkt zwar in seinen besten Momenten auf selbstironische Art fröhlich-übergeschnappt, schreckt aber auch vor keiner noch so hanebüchenen Entscheidung zurück und wirkt heillos inkompetent.
Wir wissen bereits, dass bei den fleißigen Geschäftsleuten von Universal nicht nur die Mumie im Keller schlummert, sondern auch, dass irgendwo da unten außerdem Dracula, Frankensteins Monster, Frankensteins Braut, das Ungeheuer der schwarzen Lagune, das Phantom der Oper, der Glöckner von Notre Dame und der unsichtbare Mann Staub ansetzen. Sie alle sollen laut Mumien-Regisseur Alex Kurtzmann nun diese neue Welt nach und nach mit Angst und Schrecken erfüllen. Dieser erste Film des neuen Franchise stellt jedoch einen grandios gescheiterten Auftakt dar, und ihre Macher wären am besten damit beraten, das Monströse ihres ersten Werks im ursprünglichen Wortsinne – also als Mahnzeichen – zu erkennen und aus ihren Fehlern zu lernen. Diese neuen alten Monster laufen sonst schneller als ihnen lieb sein dürfte Gefahr, von enttäuschten Kinogängern vertrieben, vergraben und vergessen zu werden.
Fazit: 5/10 Punkten – die Gnadenpunkte gibt es für die Tempelritter-Zombies und für eine schöne Hommage an einen der besten Horrorfilme aller Zeiten, “An American Werewolf in London“