Bildrechte: © Der große Reset / Ika Sperling / Reprodukt-Verlag

Lesetipp: Der große Reset (Reprodukt)

The Great Reset bezeichnet eine Initiative des Weltwirtschaftsforums, die Weltwirtschaft und die Weltgesellschaft im Anschluss an die COVID-19-Pandemie neu zu gestalten. Was die Illuminaten und Putin damit zu tun haben? Keine Ahnung, fragen Sie einen Schwurbler in ihrer Nachbarschaft. In der Graphic Novel DER GROßE RESET geht es um eben so einen Schwurbler. Und den unangenehmen Umstand, wenn ein solcher zur eigenen Familie gehört.

Bildrechte: © Der große Reset / Ika Sperling / Reprodukt-Verlag
Bildrechte: © Ika Sperling / Reprodukt-Verlag

Zum Inhalt von DER GROßE RESET

Ein Weinanbaugebiet, irgendwo in der deutschen Provinz: Während eines Kurzbesuchs in ihrem Heimatdorf muss die Studentin Ika feststellen, dass ihr Vater immer weiter in die Tiefen des Internets abgetaucht ist und sich dabei in Verschwörungsideologien verloren hat. Im Alltag geben sich zwar alle große Mühe, Diskussionen zu Krieg, Impfen und Politik aus dem Weg zu gehen, doch die zunehmende Entfremdung des Vaters und der Familie scheint unaufhaltbar.

Während ihre Mutter sich ein harmonisches Wochenende wünscht und ihre Schwester nur ihre Ruhe will, versucht Ika herauszufinden, was eigentlich der Stand der Dinge ist: Hat ihr Vater etwa das Haus verkauft und will auswandern? Oder ist das nur Gerede?

Kann ein autofiktionales Werk ein Problem allumfassend darstellen?

Mein erster Gedanke nach dem Lesen der Graphic Novel war: „Das war jetzt ganz schön einseitig.“

Und versteht mich nicht falsch. Ich bin kein Fan von Schwurbel-Glaubenssätzen. Aber gerade in einem familiären Kontext, in dem man zu der betreffenden Person ja eine Beziehung hat und diese idealerweise versuchen will zu halten, da hatte ich mir ein wenig mehr Verständnis für die andere Seite erhofft. Wir müssen dem Schwurbel ja nicht zustimmen, aber wir sollten zumindest dem Gegenüber versuchen Empathie entgegenzubringen, zuzuhören, Gespräche führen. In vielen Fällen ist vielleicht auch einfach noch Unwissen, Halbwissen, oder Dummheit – alles Dinge, an denen man grundsätzlich arbeiten kann (wenn man das möchte).

Derartige Versuche wagt Ika, jedoch keine. Stattdessen versucht sie ihren Vater größtenteils auszublenden. Sie wirkt müde angesichts seiner Äußerungen, kann es einfach nicht mehr ertragen. Und dann kam mir die Frage: Kann etwas, dass aus der Ich-Perspektive geschrieben wurde und zumindest auf einer realen Situation basiert, überhaupt verschiedene Blickpunkte umfassen? 

Hier geht es ja letztlich nicht darum, warum Schwurbler schwurbeln. DER GROßE RESET möchte doch gar kein Sachbuch über die Ideologie und psychologischen Beweggründe sein. Stattdessen geht es hier um Familie und den Keil, der sich in diese treibt. Hier geht es um Ika und ihre Empfindungen dabei. Wie wenig es um den Vater wirklich geht, zeigt letztlich auch seine Darstellung als undefinierte wabbelige Schwurbelmasse.

Bildrechte: © Der große Reset / Ika Sperling / Reprodukt-Verlag
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Wie viel Realität steckt im Werk?

In einem Interview mit dem Reprodukt-Verlag betitelte Sperling das Werk selbst als „autofiktional“. Zwar basiert es auf wahren Begebenheiten, doch soll keine der dargestellten Szenen wirklich exakt so stattgefunden haben. Viel mehr sollen die Szenen illustrieren, wie die Familie sich nach und nach verliert. Wie die Schwurbelmasse immer weniger Inhalt hat, bis sie irgendwann ein leeres Gefäß ist. Ein Gefäß, das eins der Vater war. Eigentlich wollte Sperling zunächst auch gar nicht über dieses emotionale Thema schreiben.  

Schließlich befasste sie sich gezwungenermaßen schon genug damit, und wollte das Thema nicht auch noch in ihrer kreativen Arbeit vor sich haben. Der Umstand, dass sie es schließlich doch tat, muss eine katharsische Wirkung gehabt haben. „Was mich an der Beziehung be­lastet hat, ist jetzt in dem Buch“, sagte sie im Interview mit dem Hamburger Magazin Hinz&Kunz

Mein Fazit

Was man bekommt, hängt wie immer schwer davon ab, was man erwartet. Wer sich von DER GROßE RESET eine Analyse des Geisteszustands eines Schwurblers erhofft, wird enttäuscht. Wer Verständnis und Debatten sucht, ebenso. Wer ein wenig Verständnis für die eigene Situation sucht, der könnte schon eher fündig werden.

Ich glaube, ebenso wie das Schreiben und Illustrieren dieser Graphic Novel für Sperling eine Befreiung war, kann es für andere Menschen ein kleiner Seelenbalsam sein. Eine Erinnerung daran, dass die gezeigten Situationen in anderen Haushalten auch passieren. Das auch andere Menschen Angehörige an Verschwörungsideologien verloren haben. Da ich persönlich so etwas glücklicherweise nicht erleben musste, kann ich das Ganze nur von außen betrachten. 

Für DER GROßE RESET gibts daher 7 von 10 Punkten.


DER GROßE RESET von Ika Sperling erschien im Reprodukt-Verlag und ist für 24 Euro überall da erhältlich, wo es was zum Schmökern gibt!

Bildrechte: © Ika Sperling / Reprodukt-Verlag

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