ACHTUNG: MÖGLICHE SPOILER!
Von Stephan Greitemeier
Seit sechs Staffeln warten die Fans des Lieds von Eis und Feuer auf diesen einen Satz: „Winter is here.“ Gleich mehrere Helden und Schurken sprechen ihn zum Beginn der vorletzten Staffel von Game of Thrones aus. Doch es ist keine Lawine, die den endgültigen Klimawandel ankündigt. Eher ein kalter Hauch.
Zum verfrühten Wintereinbruch luden Sky und HBO bei sommerlichen Temperaturen in die Berliner Kulturbrauerei, um die erste Folge gemeinsam zu schauen. Fürs frostige Gefühl sorgten zwei sehr engagierte White Walkers, die bedrohlich durch die Gänge streiften und unter der dichten Maske keinerlei Regungen zeigten. Kleinere und größere Prominenz versammelte sich in den ehrwürdigen Backsteinhallen – nur leider niemand aus der Serie selbst. Sogar Tom Wlaschiha, der letzte deutsche Gesandte in Essos, scheint zu beschäftigt mit der Promotion seines gelungenen Thrillers Berlin Falling. Stattdessen nahmen Nilz Bokelberg und Cherno Jobatey auf dem dekorativen Gummithron Platz und bibberten mit dem Fußvolk um das Schicksal von Jon Snow, Daenerys Targaryen und Arya Stark.
Statt Emilia Clark oder Nikolaj Coster-Waldau führte Sky Moderatorin Aline von Drateln betont launig in die erste Folge ein. Ihre laute Überlegung, was die Liebe zu einer so notorisch sex- und gewaltlastigen Serie über deren Zuschauer aussagt, sorgte für Schmunzeln im Publikum. Dabei sind die beiden Markenzeichen von George R.R. Martin in der Startfolge noch sehr wenig vertreten. Stattdessen werden die Figuren behutsam in Stellung gebracht – für den großen Krieg der Königinnen Daenerys und Cersei. Nach ihrem spektakulären Massenmord im Dom braucht die letzte Lannister-Tochter dringend Verbündete. Die Hassliebe zwischen ihr und ihrem Bruder/Ex wird angeheizt durch das vollmundige Werben Euron Greyjoys, für den der Weg auf den Eisernen Thron direkt durch Cerseis Bett zu gehen scheint. Sein doppelbödiges Flirten im Thronsaal der Red Keep ist ein witziges Highlight der Folge. Und macht neugierig darauf, mit welcher Überraschung er seine Wiederkehr würzen will.
Oben im Norden plagen die letzten Starks, Sansa und Jon Snow, ähnliche Sorgen. Eingekeilt zwischen der rachsüchtigen Cersei im Süden und dem wachsenden Heer des Night King im Norden fehlt es an Verbündeten. Selbst eine Generalmobilmachung aller Männer, Frauen und Kinder wird die dämonischen Horden nicht stoppen. Die fragile Allianz zwischen Night Watch und Wildlings wird zusätzlich durch eine taktisch-moralische Frage erschwert: Wie geht man mit den Verrätern um, die sich den sadistischen Boltons anbiederten? Die Doppelspitze Jon und Sansa ist hier sehr geteilter Ansicht, sehr zur Freude des listig lauernden Littlefingers.
Während die Guten streiten, marschieren die Bösen. Ein fantastischer Blick auf das Heer der White Walkers enthüllt die Größe der wachsenden Armee – und einen überraschenden Neuzugang. Ist der Winter noch zu stoppen? Wenn ja, dann dank eines Mannes: Samwell Tarly! In einer ebenso ekelhaften wie witzigen Clipshow wird sein wenig glamouröses Leben als Maester-Lehrling in Old Town gezeigt. In der Zitadelle verschlossen lagern die Geheimnisse des Ordens, und Westeros‘ liebenswertester Stiefpapa wird alles daran setzen, dem Norden beizustehen! Auch wenn er sich zunächst als Meisterdieb und Altenpfleger bewähren muss.
Während Samwell Mut beweist, beweist der Hound Herz. Immer noch im Tross der Bruderschaft ohne Banner, zeigt der entstellte Hüne Nerven, als er mit den Konsequenzen einer Entscheidung konfrontiert wird. Seine mitfühlende Geste für die unschuldigen Opfer des Krieges könnte ein Anzeichen dafür sein, dass der Hund bald endgültig begraben wird. Bei Stannis Baratheon folgte auf die Enthüllung seiner väterlichen Seite alsbald Briennes Schwert. Vielleicht aber springt der zynische Killer dem Tod ein zweites Mal von der Schippe – zumindest bis zum heiß ersehnten Duell mit dem Mountain, der nach wie vor als stummes Monster Cersei schützt. Seine Visionen legen auf jeden Fall nah, dass der bodenständige Atheist zum Gott des Feuers finden könnte.
Währenddessen zeichnet seine ehemalige Reisebegleiterin Arya Stark für den höchsten Bodycount der Folge verantwortlich. Nach dem abrupten Ende ihrer Killer-Ausbildung setzt die zarte Massenmörderin ihren Rachefeldzug unverdrossen fort. Ihre legendäre Liste scheint sie derweil vergessen zu haben: mittlerweile sind sämtliche Feinde ihrer Familie Freiwild. Ihre Stippvisite bei Walder Freys Söhnen verführte das Publikum im Saal zu spontanem Jubel. Der Gastauftritt von Schmusebarden Ed Sheeran als singender Lannister-Soldat fiel dagegen etwas mau aus. Auf seine ebenso junge wie musikalische Truppe trifft die Attentäterin auf dem Weg zu ihrer vorletzten lebenden Feindin: Cersei. Es wird wohl auf ein Wettrennen hinauslaufen, denn ganz zum Schluss der Folge werden wir noch Zeugen eines historischen Ereignisses: Die letzte Drachenfürstin setzt erstmals Fuß auf Westeros!
In einer elegischen Sequenz begleiten wir Daenarys, die den verwaisten Stammsitz ihrer Familie wieder in Besitz nimmt. Seit Stannis‘ Tod haben wir Dragonstone nicht mehr besucht, und mit den Augen der Khaleesi sehen wir das Schloss erstmals in seiner ganzen Pracht. Eine atemberaubende Sequenz, die die letzte Spielfigur aufs Brett stellt. Und obwohl nicht viel passiert in der ersten Folge der vorletzten Staffel von Game of Thrones möchte man auf Daenerys einzigen Satz „Shall we begin?“ ein lautes, fröhliches „Ja!“ schreien.
13 Folgen bleiben den Machern, um ihre Saga zum Ende zu bringen, sieben in der aktuellen und sechs in der letzten Staffel. Der Einstieg war eher behutsam, doch man sah deutlich, dass HBO eine noch höhere Summe als sonst in die einzelnen Folgen ihres Welthits investiert hat. Die Kriegsflotte der Greyjoys, erstmals Luftaufnahmen von Winterfell, das eisige Heer jenseits des Walls und Dragonstone – selten sah Westeros zum Staffelstart so gut aus. Und wenn man die Farbskala der ersten Folge als Orakel nimmt, wird die Staffel noch sehr düster werden. Von den Segeln der Ironborn über den neuen Look von Daenerys` Entourage bis zu den faschistoiden Uniformen von Cerseis Armee – schwarz ist die Farbe des Sommers.
Wir dürfen wieder um unsere Helden zittern. Der Winter ist hier.