„Super-GAU“ spielt am Vorabend der Fukushima-Katastrophe, deren klimapolitische und gesellschaftliche Folgen nicht nur in Japan zu spüren waren. Bea Davies lässt ihre Geschichte aber nicht in Japan, sondern in Berlin spielen – sie erzählt von acht Menschen, deren Lebenslinien sich in und als Folge der Fukushima-Krise überkreuzen.
Am 11. Mai 2011 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 8,9/10 ganz Japan. Kurz darauf folgte ein Taifun und in der Folge die Nuklearkatastrophe im Kernkraftwerk Fukushima. 20.000 Menschen verloren ihr Leben, eine halbe Million ihr Hab und Gut.

Das sagt Aki
Wo warst du, als Fukushima passierte?
Genau diese Frage wird gestellt, wenn etwas Weltbewegendes passiert, wie der 11. September oder eben Fukushima. Ich erinnere mich noch genau an diesen Tag. Ich war mit Freunden zu Hause in Leipzig. Wir saßen gebannt vor dem Fernseher und konnten es nicht fassen. Dann, irgendwann im Laufe des Tages, kam die Nachricht von der Atomkatastrophe in Japan. Ein Super-GAU, der die Welt in Atem hielt. Alles war so weit weg und doch war die Angst vor den Folgen zum Greifen nah.
Doch in „Super Gau“ geht es nur am Rande um diese Katastrophe. Es geht um die Menschen in Berlin. Es geht um die Unterschicht und ihren Alltag. Am anderen Ende der Welt, wo man auf ganz andere Weise um sein Leben fürchten muss. Beobachtend werden 8 Menschen, die alle miteinander verbunden sind. Sie haben eines gemeinsam: Sie leben am Rande der Gesellschaft.
Das Besondere an der Erzählweise von Bea Davis ist, dass keine der Figuren eine Opferposition einnimmt. Es gelingt ihr, ein Milieu mit realistischen Lebenshindernissen zu zeichnen, ohne kitschig oder gar karikierend zu wirken. Ein wertfreier Blick auf das, was viele in ihrem Alltag ausblenden.
Wenn man sich mit der Biografie der Autorin beschäftigt, wird schnell klar, warum sie diesen Blickwinkel gewählt hat. Davis arbeitete in Berliner Notunterkünften und zeichnete lange Zeit für das Berliner Obdachlosenmagazin „Strassenfeger“.
Mein Fazit
Ich konnte meine Augen nicht von „SUPER GAU“ lassen. Denn der Titel ist im Zusammenhang mit den Geschichten ziemlich doppeldeutig. Dinge, mit denen man nie gerechnet hätte. Der persönliche Supergau während des atomaren Supergaus.
Man kann sich gut in die persönlichen Geschichten hineinversetzen und fiebert mit den Charakteren mit. Allerdings hätte ich mir bei manchen Geschichten mehr Informationen oder eine Auflösung gewünscht.
Ich gebe deshalb
09 von 10 Punkten

Das sagt Ricarda
Wo Leben endet, Wo Leben weitergeht
Jeden Tag sterben irgendwo auf der Welt Menschen. Das ist eine beschissene, aber realistische Tatsache. Oft bekommen wir von diesen Toten nichts mit. Außer es sind große Katastrophen wie Fukushima. Aber was, wenn man gar keinen Bezug zu Japan hat, niemanden dort kennt, und eigentlich seine eigenen Alltagskämpfe? Das ist der Stoff, aus dem die Graphic Novel Super-GAU besteht.
Denn auch wenn sich natürlich manche Personen innerhalb der Geschichte erschüttert zeigen, und andere eben jenen direkten Bezug haben, so gibt es auch welche, denen das ganze herzlich weit am Poppes vorbeigeht. Und das macht diese nicht zu schlechten Menschen. Aber gerade die sozialen Randpersonen, die hier zum Fokus gemacht werden, leben einfach in einer ganz anderen Realität. Natürlich ist es schlimm, wenn anderswo Menschen sterben, aber wo bekomme ich heute Nacht erstmal einen warmen Schlafplatz?
Tatsächlich habe ich einen Bezug zu Fukushima. Ich habe Familie, welche zum Zeitpunkt des Super-Gaus in Tokyo lebte. Der Tag brachte natürlich Ängste um deren Wohlbehalten mit sich (es geht allen gut!). Die Alltäglichkeit der Geschichten in SUPER-GAU haben beim Lesen einiges aufgewühlt. Mir ging es an diesem Tag durchaus anders. Und trotzdem fühle ich mich ertappt. Ging es mir doch beispielsweise bei 9/11 ähnlich. Klar klebte man da fassungslos am Fernseher. Aber dann ging der Tag auch irgendwie weiter. Was nutzt einem Fassungslosigkeit, wenn der Bus in 5 Minuten kommt?
Mein Fazit
Ich muss sagen, ich habe etwas anderes erwartet, als ich mich für diese Erscheinung interessierte. Aber anders heißt nicht schlecht! Ich rechnete mit einer Aufarbeitung der Geschehnisse in Japan. Zumindest mit Storys rund um Überlebende oder deren Angehörige. Stattdessen ist der Super-Gau hier wirklich nur Randerscheinung. Der Fokus liegt bei den Personen. Und auch wenn ich Aki vollkommen zustimme, dass ich an manchen Personen durchaus schnell mehr Interesse entwickelte und gerne mehr von ihrer Geschichte erfahren würde. So geht es doch im Kern um diesen kurzen Augenblick. Mehr nicht.
Die Art und Weise, wie die Geschichten der 8 Personen hier ineinandergreifen, fand ich im übrigen phänomenal! Trotz der Kürze, mit der wir hier arbeiten gehen, die Geschichten so fließend ineinander über. In Vorder- oder Hintergründen werden bereits Subplots angedeutet, man muss wachsam lesen. Wie ein richtig guter Film oder eine Serie. Aufmerksamkeit wird belohnt.
Für dieses verdammt gute Writing, die tollen Zeichnungen und den bewegenden Inhalt kann ich nicht anders als 10 von 10 Punkten zu vergeben!

SUPER-GAU von Bea Davies erschien beim Carlsen Verlag für 26 Euro und ist überall da erhältlich, wo es was zum Schmökern gibt!
Bildrechte: © Bea Davies / Carlsen Verlag